Vor 100 Jahren promovierte Hiller in Heidelberg


Sein Jura- und Philosophie-Studium in Berlin schloß Hiller im November 1907 als Externer in Heidelberg ab. Wie in seiner Autobiographie geschildert verfaßte Hiller eine rechtsphilosophische Arbeit unter dem Titel "Das Recht über sich selbst", in der er die Forderung aufstellte, daß das damalige Strafrecht der Selbstbestimmung des Menschen wesentlich mehr Spielraum gewähren müsse. Es dauerte dann Jahrzehnte, bis Hillers Forderungen nach einem liberalen Sexualstrafrecht und der freien Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch realisiert wurden.
Sein Juraprofessor Franz von Liszt bezeichnete Hillers Arbeit als "philosophische Arbeit"; sein Philosophieprofessor Georg Simmel empfand sie als "juristische Arbeit". So ging Hiller ins liberale Heidelberg, wo sie vom späteren Reichsjustizminister Gustav Radbruch anerkannt wurde. Allerdings waren Hillers Forderungen damals so brisant, daß nur einige Kapitel seiner Arbeit, über das Recht auf Selbstmord, als Dissertation anerkannt wurden. Im Heidelberger Verlag Carl Winter erschienen dann Anfang 1908 Hillers erste Bücher "Das Recht über sich selbst" und als separater Auszug daraus die Dissertation "Die kriminalistische Bedeutung des Selbstmordes".
Da die Doktorurkunde Hillers in seinem Nachlaß fehlt (entweder durch Diebstahl der SS 1933 oder durch Schlamperei seines früheren Nachlaßverwalters), wandte ich mich an das Universitätsarchiv Heidelberg, dessen Leiter Prof. Dr. Werner Moritz freundlicherweise die Recherchen vornahm. Es kam dabei heraus:
In den Wirren nach 1945 gingen die Promotionsakten der Juristischen Fakultät von 1907-1911 verloren. Auch unter einigen Akten zur "Zulassung zur Promotion" findet sich nichts über Hiller. Ebenfalls fehlt er in einer separaten Promotionskartei.
Prof. Moritz fand aber andere Unterlagen, aus denen hervorgeht:
Hillers Doktorvater Prof. von Lilienthal bewertete die schriftliche Prüfung ("Das Recht über sich selbst") mit der Note 3 (Hiller spricht in seiner Autobiographie von "Sehrgut"). Die mündliche Doktorprüfung am 27.11.1907 erbrachte die Note 4 (wie von Hiller im "Logos" geschildert). Die rechtsgültige Promotionsurkunde wurde am 12.2.1908 ausgefertigt.
Die Nationalsozialisten bürgerten ihre Gegner wie Hiller nicht nur aus, sondern entzogen diesen vielfach auch den Doktorgrad, da sie "durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt" hätten. Aufgrund eines Erlasses des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung faßte die Heidelberger Juristische Fakultät am 27.4.1938 den Beschluß, Hiller die Doktorwürde wegen "Unwürdigkeit" zu entziehen, unterzeichnet vom damaligen Rektor Krieck. Nach dem Krieg wurden diese Aberkennungen des Doktortitels revidiert.
Drei Freunde Hillers hatten ein Jahr vor dem "Goldenen Doktor" in Schreiben an die Universität Heidelberg auf dieses Jubiläum aufmerksam gemacht und um dessen Würdigung gebeten. Üblich war wohl die Ausstellung einer Goldenen Doktorurkunde, aber nicht für jeden Goldenen Doktor automatisch, sondern nach Prüfung der wissenschaftlichen Leistung. Ohne Kommentar wurde Hiller diese Ehrung nicht zuteil, weshalb er ein Jahr später (27. November 1958) einen erbosten Brief an den Rektor der Universität schrieb mit der Bitte um Angabe von Gründen. Rektor Wilhelm Hahn schrieb lapidar zurück, daß Ehrungen zum Goldenen Doktor Sache der jeweiligen Fakultät seien.
Der damalige Dekan der Juristischen Fakultät, Prof. Niederländer, hatte die Frage der Ausstellung eines Goldenen Doktordiploms der Fakultät vorgelegt, welche aber beschloß, "der Angelegenheit keinen Fortgang zu geben". Nun, Ende 1958, sollte der Dekan Hiller ein Antwortschreiben zusenden, aber dies unterblieb aus unerfindlichen Gründen.
Das Ganze kam noch einmal 1965 aufs Tableau, als der Asta der Universität Heidelberg Hiller zu einer Vorlesung einlud. Hiller hatte inzwischen anderweitig erfahren, daß seine Nichtehrung auf einem Beschluß der Juristischen Fakultät beruhte, den er wie folgt kommentierte: "Mehr noch als sein verletzender Inhalt mißfällt mir, daß er heimlich gefaßt wurde, ich meine: in Abwesenheit des Brüskierten oder eines seiner Vertreter, und daß mir die Gründe nicht mitgeteilt wurden, aus denen man mich diskriminierte. Ich kenne sie bis heute nicht. Unter diesen Umständen sehe ich keine Möglichkeit, im Rahmen der Universität Heidelberg als Interpret meiner Schriften aufzutreten, - es sei denn, die Juristische Fakultät entschuldigt sich bei mir. Geschieht das, dann werden Verhandlungen zwischen der Heidelberger Studentenschaft und mir bestimmt auf keinerlei Schwierigkeiten stoßen."
Hillers Wirken als schriftstellernder Jurist, welches im Band 3 unserer Schriften gewürdigt werden wird, hätte bestimmt vor jeder "Prüfung der wissenschaftlichen Leistung" zwecks Überreichung einer Goldenen Doktorurkunde bestanden.
Die dankenswerten Recherchen von Prof. Moritz vom Universitätsarchiv haben immerhin einige Rahmendaten zu Hillers Promotion in Heidelberg zutage gefördert.
Harald Lützenkirchen


Die Universitätsbibliothek Heidelberg; 1905, also kurz vor Hillers Erscheinen dort, errichtet.


Das alte Gebäude der Universität Heidelberg